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Prävalenz und klinische Bedeutung einer Mangelernährung
Eine krankheitsassoziierte Mangelernährung ist ein häufig auftretendes Phänomen bei Patienten mit chronischen oder konsumierenden Erkrankungen. Die Prävalenz der Mangelernährung bei Aufnahme ins Krankenhaus beträgt zwischen 20 und 60 % in Abhängigkeit von den verwendeten Definitionen und diagnostischen Kriterien sowie den untersuchten Populationen.

Eine Mangelernährung gilt als unabhängiger Risikofaktor für das klinische Outcome von Patient:innen.
Sie ist assoziiert mit:
- höherer Morbidität und Mortalität bei akuten Erkrankungen, nach chirurgischen Traumata oder im spontanen Krankheitsverlauf chronischer Erkrankungen
- Verzögerter Rekonvaleszenz
- längerer Krankenhausverweildauer
- deutlich erhöhten klinischen Behandlungskosten
Bedeutung einer frühzeitigen Ernährungstherapie
Ein unterschätztes Risiko für Patient:innen
Das Phänomen der krankheitsassoziierten Mangelernährung und die vielfältigen medizinischen, sozialen und gesundheitsökonomischen Folgen sind in den letzten 30 Jahren wissenschaftlich so gut untersucht und belegt worden, dass auch die Europäische Union Maßnahmen gegen die hohe Prävalenz der Mangelernährung im Krankenhaus fordert. Zahlreiche Interventionsstudien belegen außerdem die medizinische und ökonomische Effizienz gezielter Ernährungstherapien. Trotzdem findet das Problem im klinischen Alltag immer noch unzureichend Aufmerksamkeit, was unter anderem dazu führt, dass sich der Ernährungszustand von Patient:innen während einer Klinikbehandlung häufig weiter verschlechtert.
Aus der klinischen Relevanz der Mangelernährung folgt, dass die Erhebung des Ernährungsstatus Bestandteil jeder ärztlichen Untersuchung sein sollte. Nur dann können drohende oder manifeste Ernährungsdefizite rechtzeitig erkannt und zur Verbesserung der Prognose frühzeitig behandelt werden.
Erkennung und Bewertung von Ernährungsdefiziten
Diagnostische Kriterien einer Mangelernährung
Bisher fehlte eine einheitliche Definition der krankheitsbezogenen Mangelernährung. Deshalb basieren auch Prävalenzdaten oftmals auf unterschiedlichen diagnostischen Kriterien. Das Ziel einer für alle Versorgungsakteure einfachen Diagnose der Mangelernährung muss die klare Indikation zur Einleitung, Überwachung und Beendigung einer Ernährungstherapie sein.
Kriterien nach DGEM-Leitlinie
Entsprechend der DGEM-Leitlinie „Terminologie in der klinischen Ernährung“ (2013) wird eine krankheitsassoziierte Mangelernährung durch folgende drei unabhängige Kriterien definiert:
- Body-Mass-Index (BMI) < 18,5 kg/m² ODER
- ungewollter Gewichtsverlust > 10 % in den letzten 3-6 Monaten ODER
- BMI < 20 kg/m² und unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 5 % in den letzten 3-6 Monaten
- Für Erwachsene ab 65 Jahren: BMI < 20 kg/m², ungewollter Gewichtsverlust > 5% in 3 Monaten.
Zusätzlich gilt eine Nüchternperiode von länger als 7 Tagen als unabhängiges definierendes Kriterium eines Mangelernährungsrisikos.
Kriterien nach GLIM
Die „Global Leadership Initiative on Malnutrition“ (GLIM) hat 2018 in einem weltweiten Konsens der großen Fachgesellschaften eine bipolare Definition zur Diagnose der Mangelernährung vorgelegt. Hierbei sollten ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung auf Basis eines validierten Screeninginstruments vorliegen sowie ein phänotypisches und ein ätiologisches Kriterium erfüllt sein.
Screening- und Assessmentinstrumente
Instrumente zur Erfassung des Ernährungszustands
Im Folgenden geben wir Ihnen eine Übersicht über die gängigsten Instrumente zur Erfassung des Ernährungszustands. Im Fokus stehen dabei das Mangelernährungsscreening und das Ernährungsassessment, welche wir Ihnen genauer vorstellen möchten.
Mangelernährungsscreening
Das Mangelernährungsscreening ist ein einfacher und schneller Prozess, um Personen, die sehr wahrscheinlich mangelernährt sind oder ein Risiko für eine krankheitsspezifische Mangelernährung tragen, zu identifizieren und festzustellen, ob die Durchführung eines detaillierten Ernährungsassessments indiziert ist.
Validierte Screeninginstrumente
Das MNA-SF ist ein einfacher Screening-Bogen für geriatrische Patient:innen. Er kann in der häuslichen Pflege genauso angewendet werden wie im Krankenhaus oder Pflegeheim.
Das MUST wurde ursprünglich von der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) für ambulante Patient:innen empfohlen, wird jedoch mittlerweile auch wie das NRS und das SGA im stationären Bereich eingesetzt.
Das NRS wird von der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) für alle hospitalisierten Patient:innen zur Einschätzung des Ernährungszustandes empfohlen. Es besteht aus einem Vor- und einem Hauptscreening.
Ernährungsassessment
Das Ernährungsassessment ist die umfassende Diagnose von Ernährungsproblemen unter Berücksichtigung der Krankengeschichte, der aktuellen Medikation, einer Ernährungsanamnese, validierten Assessementinstrumenten (z. B. SGA, MNA-long, PG-SGA), körperlichen Untersuchungen, der Körperzusammensetzung, der Anthropometrie sowie von Laborwerten. Das Ergebnis des Ernährungsassessments stellt die Basis für die Indikation jeder Ernährungsintervention dar. Nach dem vorausgegangenen Mangelernährungsscreening ist es der zweite, definierende Schritt in der Diagnose der Mangelernährung und identifiziert damit Patienten und Patientinnen, die potenziell von einer Ernährungstherapie profitieren.
Validierte Assessmentinstrumente
Das MNA-LF ist ein Komplettassessment für geriatrische Patient:innen. Es kann in der häuslichen Pflege genauso angewendet werden wie im Krankenhaus oder Pflegeheim.
Das SGA ist eine einfache, reproduzierbare bed-side Methode zur Einschätzung des Ernährungszustandes bei ambulanten oder stationären Patient:innen. Auf Grundlage von Anamnese und körperlicher Untersuchung schätzt der/die Untersuchende den Ernährungszustand des Patienten oder der Patientin ein.
Das PG-SGA wird von der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ASPEN) als eine Modifikation des SGA für chronisch kranke Patient:innen empfohlen. Angaben zur Krankengeschichte werden vom Patienten/von der Patientin selbst ausgefüllt. Die Erhebung der metabolischen und physischen Kondition wird von geschultem medizinischen Personal durchgeführt.
Pocketguide
Ernährungsscreening in der ambulanten Onkologie
Der Pocket Guide des SVDE und VDD e.V. ist ein kompaktes Nachschlagewerk für medizinisch-, therapeutisch- und/oder pflegerisch tätige Fachpersonen im onkologischen Bereich. Die Inhalte beruhen auf evidenzbasierter Literatur und dienen als konzeptionelle Orientierungshilfe für die Praxis.
Ziel des Pocket Guides ist die Früherkennung und Vermeidung von Fehl- und Mangelernährung auf Grundlage einer ernährungstherapeutischen Versorgung mittels des German-Nutrition Care Process (G-NCP).
Der Pocket Guide ist entstanden durch eine Zusammenarbeit der Fachgruppe Onkologie des Schweizerischen Verbands der Ernährungsberater/innen (SVDE) und des Verbands der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e.V. (VDD) sowie weiteren Kooperationspartnern.
Bis zu vier kostenfreie Druckexemplare können bezogen werden über Fresenius Kabi Deutschland: kundenberatung@fresenius-kabi.de oder Tel.: 0800 788 7070.
Erstattungsfähigkeit im klinischen und ambulanten Bereich
ICD-10-GM Kodiervorschläge zur Erfassung von Mangelernährung im klinischem Setting
Erheblicher Gewichtsverlust (Unterernährung, Kachexie) bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der mindestens drei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder eine ähnliche Abweichung in anderen statistischen Verteilungen).
Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Unterernährung, wenn der Gewichtswert drei oder mehr Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt.
Nach dem Nutritional Risk Screening (NRS 2002) ist die Schlüsselnummer E43 in der stationären Versorgung bei Erwachsenen auch zu benutzen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Der NRS Score beträgt mehr als 4 und der Body Mass Index ist kleiner als 18,5 kg/m² und/oder
- der NRS Score beträgt mehr als 4 und es liegt ein ungewollter erheblicher Gewichtsverlust von mehr als 15% innerhalb der letzten drei Monate (bzw. fünf Prozent innerhalb des letzten Monats) vor.
Inkl.: Hungerödem
Gewichtsverlust bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der zwei oder mehr, aber weniger als drei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder einer ähnlichen Abweichung in anderen statistischen Verteilungen).
Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mäßige Energie- und Eiweißmangelernährung, wenn der Gewichtswert zwei oder mehr, aber weniger als drei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt.
Nach dem Nutritional Risk Screening (NRS 2002) ist die Schlüsselnummer E44.0 in der stationären Versorgung bei Erwachsenen auch zu benutzen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Der NRS Score beträgt mehr als 3 und der Body Mass Index beträgt 18,5 bis 20 kg/m² und/oder
- der NRS Score beträgt mehr als 3 und es liegt ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent in zwei Monaten vor.
Gewichtsverlust bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der ein oder mehr, aber weniger als zwei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder einer ähnlichen Abweichung in anderen statistischen Verteilungen).
Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte Energie- und Eiweißmangelernährung, wenn der Gewichtswert eine oder mehr, aber weniger als zwei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt.
Nach dem Nutritional Risk Screening (NRS 2002) ist die Schlüsselnummer E44.1 in der stationären Versorgung bei Erwachsenen auch zu benutzen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Der NRS Score beträgt 3 und es liegt ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent in drei Monaten bei Kindern oder Erwachsenen vor
Der Kode R64 kann kodiert werden, wenn bei Vorliegen einer Erkrankung der Gewichtsverlust ≥ 5 %* in ≤ 12 Monaten beträgt, PLUS DREI der folgenden Kriterien vorliegen:
- Verringerte Muskelkraft (z. B. Handgriffstärke)
- Erschöpfung
- Appetitlosigkeit
- Niedriger Fettfreie-Masse-Index (fettfreie Masse [kg]/Körpergröße²[m²])
- Abnormale Biochemie
- – erhöhte Entzündungsmarker (CRP > 5,0 mg/L, IL-6 > 4,0 pg/mL), oder
- – Anämie (Hb < 12 g/dL), oder
- – niedriges Serumalbumin (< 32 g/L)
* ohne Ödem; falls Gewichtsverlust nicht eruierbar, ist ein BMI <20,0 kg/m² für die Diagnose der Kachexie ausreichend.
Anmerkung: Mit dem Schlichtungsspruch zur Kodierempfehlung Nr. 16 setzt das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK) mit Gültigkeit zum 15.10.2020 neue Definitionskriterien für die Anwendung des Kodes R64 fest. Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses finden Sie hier.
Der Kode R64 Kachexie gehört zum ICD-10-GM Kapitel der R Symptome, welche subjektive und objektive Symptome, abnorme Ergebnisse von klinischen oder sonstigen Untersuchungen sowie ungenau bezeichnete Zustände darstellen, für die an anderer Stelle keine klassifizierbare Diagnose vorliegt. Die Möglichkeit einer Doppelkodierung mit z. B. E43 ff. ist somit unwahrscheinlich, wird jedoch nicht endgültig beantwortet.
M 62.5 – Sarkopenie/ Muskelschwund und -atrophie, anderenorts nicht klassifiziert
Ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung
Ernährungstherapie als Arzt oder Ärztin verschreiben
Eine Ernährungstherapie kann die Behandlung verschiedener Erkrankungen unterstützen. Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen können eine Ernährungstherapie verordnen. Hierzu dient die „Ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung“, die es Patientinnen und Patienten ermöglicht, eine (anteilige) Kostenerstattung bei ihrer Krankenkasse zu beantragen.
Wichtiges zur Anwendung:
- Das Ausstellen der Notwendigkeitsbescheinigung belastet nicht das Heilmittelbudget.
- Die Bescheinigung ist bundesweit einheitlich und anbieterneutral.
- Die Bescheinigung kann als beschreibbares PDF-Dokument digital oder auch
handschriftlich ausgestellt werden.
Als Ärztin oder Arzt kann man Ernährungstherapie verschreiben:
Nutzen Sie die aktualisierte Notwendigkeitsbescheinigung!
Ernährungsmedizinische Fort- und Weiterbildungen
Auf den folgenden Seiten finden Sie Informationen zum Erwerb ernährungsmedizinischer Kompetenzen.
Zusatzweiterbildung “Ernährungsmedizin” nach BÄK für Ärztinnen und Ärzte
Fortbildung “Pflegeexperte Ernährungsmanagement” (Basis- und Aufbaukurs) für Pflegekräfte und Assistenzpersonal